Top
F | E
A | A | A

Jugend, Studium

Haller wurde 1708 als fünftes Kind des Juristen Niklaus Emanuel Haller in Bern geboren. Er studierte Medizin in Tübingen und insbesondere in Leiden unter Herman Boerhaave, dem führenden medizinischen Lehrer seiner Zeit. Nach der Promotion bereiste er England, vertiefte seine anatomischen und chirurgischen Kenntnisse in Paris und liess sich von Johannes Bernoulli in Basel in die höhere Mathematik einführen. 1729–36 war er als praktischer Arzt in Bern tätig und publizierte erste kleinere anatomische und botanische Schriften. Seinen frühen Ruhm jedoch erlangte er mit seinem Versuch Schweizerischer Gedichten (1732). Dieses kleine Büchlein enthielt ein tief empfundenes Liebesgedicht (Doris), zeigte neue Wege in der Beschreibung von Natur und Mensch (Die Alpen), wurde zum Vorbild einer philosophischen Lehrdichtung (Über Vernunft, Aberglauben und Unglauben) für die nächste Generation und machte Haller zum meistgelesenen deutschen Dichter der 1730er und 1740er Jahre.
 

Professor in Göttingen

1736 wurde Haller zum Professor für Anatomie, Botanik und Chirurgie an die neugegründete Universität Göttingen berufen, wo er bis 1753 blieb. In dieser Periode intensiver wissenschaftlicher Aktivität entwickelte er seine zentralen Forschungsgebiete und legte die Grundlagen für spätere Werke. 1742 veröffentlichte er eine umfassende Flora der Schweiz und galt bald als einer der führenden Botaniker und als der wichtigste Gegner der aufkommenden Linnéschen Nomenklatur. Als Anatom fokussierte er sich auf das Gefässsystem und setzte mit seinen Icones anatomicae (8 Teile, 1743–56) den Standard in diesem Gebiet. Sein Hauptinteresse galt allerdings der Physiologie, der Lehre von den Funktionen der Lebewesen. Ausgehend von der Überzeugung, dass sich fundamentale Aussagen über den lebenden Körper an diesem selbst gewinnen lassen können, machte sich Haller in den späten 1740er Jahren als Erster daran, systematisch angeordnete Tierversuchsreihen in grösserem Umfang und mit klarer Fragestellung durchzuführen. Seine Resultate stellten die damalige Medizin auf den Kopf. Sie wiesen nach, dass der Körper nicht – wie bisher angenommen – eine von der Seele geleitete, passive Maschine, sondern ein aktiver Organismus ist, der auf Reize reagiert. Dadurch veränderte sich nicht nur die Vorstellung, was Leben überhaupt ist, sondern auch, wie Krankheit entsteht. Während man vor 1750 davon ausging, dass Krankheit im Wesentlichen durch Störungen der Fasern und Säfte der Körpermaschine bedingt ist, setzte sich nun die Meinung durch, dass eine gestörte Reizbarkeit und Empfindsamkeit die Ursache allen Übels ist.

In Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen wurde Haller 1749 vom Kaiser in den Adelsstand (von Haller) erhoben. Bedeutender noch war die Aufnahme in die wichtigsten europäischen gelehrten Gesellschaften und Akademien, so in diejenigen von Uppsala (1733), London (1739), Stockholm (1747), Berlin (1749), Bologna (1751) und Paris (1754). 1751 wurde er zum Präsident auf Lebenszeit der neugegründeten Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften ernannt. Neben seinen zahlreichen wissenschaftlichen und literarischen Tätigkeiten war Haller Chefredaktor der Göttingischen Gelehrten Anzeigen, des führenden deutschsprachigen Rezensionsjournal, für das er in den Jahren 1747–77 gut 9 000 Buchrezensionen verfasste.
 

Magistrat in Bern

Trotz der hohen internationalen Anerkennung als Wissenschaftler wurde Haller in Göttingen nicht recht glücklich. Der Verlust von zwei Ehefrauen und von drei früh verstorbenen Kindern, der Streit mit Universitätskollegen und die Ferne von seinen Berner Freunden machten ihm zu schaffen. In der Hoffnung auf eine politische Karriere und um die politisch-gesellschaftliche Zukunft seiner Familie in Bern zu sichern, kehrte Haller 1753 in seine Heimat zurück (schon 1745 war er in den Grossen Rat gewählt worden). Nach einigen Jahren in der bescheidenen, aber den Einstieg in höhere Posten ebnenden Position des Rathausammanns wurde Haller zum Salzdirektor in Roche im französischen Teil des Berner Territoriums gewählt. 1764 kehrte er nach Bern zurück und war ein wichtiges Mitglied in verschiedenen politischen Gremien wie der Landesökonomie-Kommission und dem Sanitätsrat. Dabei wurde er in seiner Mehrfachrolle als ‚aufgeklärter’ Magistrat, als Verfasser von grundlegenden Abhandlungen (Futterkräuter, Getreide, Viehseuche) und als Präsident der Oekonomischen Gesellschaft Bern (1766, 1768, 1770–1777) zu einer der zentralen Figuren der ökonomisch-patriotischen Reformbewegung in Bern.
 

Spätwerk

Hallers Rückkehr in die Schweiz war kein Rückzug aus der Gelehrtenrepublik. Er unterhielt weiterhin einen ausgedehnten Briefwechsel mit Persönlichkeiten aus ganz Europa, von dem sich 3 700 Briefe an und 13 300 Briefe von 1200 Personen erhalten haben. Auch seine wissenschaftliche Tätigkeit führte er weiter. Die bereits in Göttingen begonnenen embryologischen Forschungen intensivierte er und veröffentlichte seine Hauptwerke über die Entwicklung des Hühnerembryos 1758 und 1767. Sein opus magnum, die Elementa physiologiae, erschienen in 8 Bänden über einen Zeitraum von 10 Jahren (1757–66) und blieben bis ins 19. Jahrhundert das Standardwerk des Fachs. Seine Sicht über Anatomie und Physiologie stellte er einem breiteren Publikum in 200 Artikeln der Yverdoner und den Supplementbänden zur Pariser Encylopédie (1772–77) vor. Eine zweite, stark erweiterte Ausgabe seiner Schweizer Flora publizierte er 1768. Abseits von den grossen Zentren der gelehrten Welt baute er seine grosse Bibliothek mit über 23 000 Titeln zur Medizin, Botanik und den Naturwissenschaften aus.

Das letzte Jahrzehnt seines Lebens widmete Haller unter anderem der Edition kritischer Bibliographien der Botanik, Anatomie, Physiologie, Chirurgie und praktischen Medizin. In 10 Bänden präsentierte und kommentierte er 50 000 Werke aus allen Bereichen der Medizin. Zudem schrieb er drei Romane über die verschiedenen Staatsformen und religiöse Schriften gegen die Freidenker, insbesondere Voltaire. Haller erlebte vielleicht die grösste Genugtuung seines Lebens im Juli 1777, ein halbes Jahr vor seinem Tod, als Kaiser Joseph II. es auf seiner 'inkognito'-Reise durch Europa ablehnte, Voltaire in Ferney zu besuchen, aber den Berner Gelehrten in seiner Stube aufsuchte.
 

Haller im Museum

 

Zeittafel (pdf)

Forschungsliteratur:

*Gedichte 1882, Bätschmann 2008 (Bildnisse), Boschung 1994, Boschung 2005, Boschung 2008, Boschung 2009, Guthke 1981, Haller-Symposion 1977, Hintzsche 1959, Joost 2009Weese 1909 (Bildnisse), Zimmermann 1755.