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Haller war einer der prominentesten Wissenschaftler seiner Zeit, der nicht nur experimentell und investigativ tätig war, sondern auch über die Bedingungen, Möglichkeiten und Prinzipien von Forschung nachgedacht hat. Zwar hat er seine Gedanken nicht in umfangreichen Abhandlungen dargelegt, wohl aber hat er kürzere Beiträge geschrieben und sich an zahlreichen Orten in seinem gesamten Werk dazu geäussert. Zu den wichtigsten Quellen gehören seine frühen Rezensionen in der «Bibliothèque raisonnée» und seine Abhandlungen über den Nutzen der gelehrten Gesellschaften und der Hypothesen (beide veröffentlicht in den *Kl. Schriften 1772 [7]).

Haller wird vielfach als der letzte Universalgelehrte bezeichnet. Doch er selbst betrachtete enzyklopädisches Wissen nicht als ein erstrebenswertes Ziel. Sein wissenschaftliches Credo war die empirische Spezialforschung. Nicht grosse, umfassende Lehrgebäude, sondern die experimentelle Untersuchung kleiner und klar definierter Forschungsgebiete führe zur Erweiterung des Wissens. Entscheidende Voraussetzung dazu war die umfassende Kenntnis des Fachgebiets und der dazugehörenden Nebenfächer, um den aktuellen Stand des Wissens zu erkennen und die noch offenen Forschungsfelder definieren zu können. Seine grossen Bibliographien der Medizin und Botanik dienen diesem Ziel. Hallers breit gefächertes Wissen erklärt sich nicht zuletzt aus diesem Anspruch heraus und hat wenig mit der herkömmlichen barocken Gelehrtheit gemein.

Haller hatte ein sehr pragmatisches Bild des Forschers, der in seinen Augen wesentlich von Ehrgeiz angetrieben wird. Er war der Meinung, dass die Anerkennung und Honorierung der Forschung nötig sei und den Fortschritt wesentlich beschleunigen könne. Zudem forderte er, dass die Forschung nicht nur – wie damals üblich – von Akademien und Privatgelehrten betrieben, sondern an der Universität institutionalisiert werden sollte. Hallers Ideale prägten wesentlich die noch junge Göttinger Universität, die bald zum zukunftsweisenden Modell im deutschsprachigen Raum avancierte.

Hallers Vorstellungen zur Aufgabe und Stellung der Wissenschaften sind noch ungenügend erforscht. Ebenso haben wir noch kein klares Bild über seinen Arbeitsprozess vom Lesen, Rezensieren und Exzerpieren über das eigene Forschen und den Austausch mit anderen Wissenschaftlern bis hin zum Verfassen und Überarbeiten der gedruckten Werke. Das reiche sowohl handschriftliche wie gedruckte Material ermöglicht exemplarische Studien über die Ideale und Praktiken eines vielseitig tätigen Forschers und Gelehrten im 18. Jahrhundert.

Forschungsliteratur
De Angelis 2003, Reill 2009Sonntag 1974a, Sonntag 1975, Sonntag 1977, Steinke 2005, Sonntag/Steinke 2008, Toellner 1968, Toellner 1971, Toellner 1977b.